Natalia Stachon – Omitted Center 

 

 

06. November 2015 - 20. Februar 2016

 

Of nearness to her sundered Things

The Soul has special times –

When Dimness – looks the Oddity –

Distinctness – easy – seems –

(Emily Dickinson, 1862)

 

But I am not one in space I am one in time–Metal time–Radioactive time–So of course I tried to keep you all out of space–

That is the end of time–

(William S. Burroughs, 1964)

 

Ambivalenzen, dynamische, wandelbare und vielfältige Räume von Empfindung faszinieren die Künstlerin in Literatur immer wieder aufs Neue. Besonders dann wenn sie von der Unmöglichkeit der Sprache erzählen, das zu fassen, was sie zu beschreiben sucht. Inspiriert durch die Begegnung mit der Literatur von William S. Burroughs und Emily Dickinson führt Stachon in ihren neuen zeichnerischen, skulpturalen und zum ersten Mal auch filmischen Arbeiten diese Auseinandersetzung fort: „Beim Lesen der cut-up-Texte von Burroughs ergeht es mir oft so, als würde ich plötzlich die Fähigkeit besitzen, eine fremde Sprache zu verstehen. Durch die endlose Überlagerung von Fragmenten scheint alles ineinander zu greifen und auf einmal Sinn zu ergeben. Wie ein tausendfach belichteter Film enthält diese Literatur einen unwiederbringbaren Augenblick lang für mich alles von Aktualität und Bedeutung. Susan Sontag schreib einmal, dass die Burroughsche Sprache auf der „Freiheit des Träumens basiert“, und Raum und Zeit unentwirrbar miteinander verwebt. Für mich lässt sich diese Wirkung unverändert auch auf die Lyrik von Emily Dickinson übertragen, die das vermeintlich Offensichtliche und Selbstverständliche immer nur umkreist und nie direkt benennt. Für dieses Prinzip hat der amerikanische Film- und Literaturhistoriker Jay Leyda den Ausdruck: "omitted center" geprägt (nach omit „auslassen“, „unterlassen“). Durch Andeutungen, Auslassungen, Referenzen, Parallelen und Spiegelungen webt Dickinson in ihrer Lyrik ein dichtes Netz, dessen Wesen man nur im Dazwischen, in der Bewegung und in der Annäherung begegnen kann. So stellt sich der Sinn als etwas Flüchtiges dar – als etwas unendlich Kostbares. In der Literatur dieser beiden Schriftsteller gibt es für mich ein verbindendes Element: es ist die Wahrung des Geheimnisses als Wert. Die Wertschätzung der Rätselhaftigkeit als ein mögliches Fundament von Kreativität. “ (Natalia Stachon, 2015)

Im Zentrum der Ausstellung steht eine Videoinstallation. Das Motiv des Films ist eine Gruppe junger Männer, die in einer strengen Formation versammelt, auf ihren Schultern eine schwere Holzkonstruktion balancieren. Langsam bewegen sie sich durch eine weite Halle und ertasten Schritt für Schritt in einer choreographierten Bewegung den sie umgebenden Raum. Diese geheimnisvolle Zusammenkunft wirkt wie ein lösgelöstes, nach Anknüfung suchendes Fragment oder wie der letzte Rest eines rätselhaften Rituals oder Tanzes. Diese Arbeit spürt dem Begriff "circumference" nach, der für Emily Dickinson von grundlegender Bedeutung war: – my Business is circumference – ( – meine Sache ist Umfassenheit – ) schrieb sie 1862 in einem Brief. Die lateinische Wurzel des Ausdrucks geht auf die Bedeutungen "umgebend" und "herumtragend" zurück. Dickinson jedoch diente er „um das poetische Tun als Bewegung zu veranschulichen: Umkreisen als ein Sich-Annähren an etwas Geheimnissvolles“ (G. Kübler). Der Videoinstallation werden neue skulpturale Arbeiten entgegengesetzt, die auf der Auseinandersetzung Stachons mit den Texten von Burroughs gründen.

 

Natalia Stachon (*1976) lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Arbeiten waren in den letzten Jahren u.a. im BWA Contemporary, Katowce/PL (2015); n.b.k. Neuer Berliner Kunstverein, Berlin (2015); Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt (2014); Kunstraum Alexander Bürkle, Freiburg (2015/2014); Daimler Contemporary, Berlin (2013/2009); Museo Santa Giulia, Brescia (2013); Künstlerhaus Bethanien, Berlin (2013); Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (2013); Haus am Waldsee, Berlin (2012); Haus Konstruktiv, Zürich (2011/2010) zu sehen; Sie unterrichtete u. a. an der HafenCity Universität Hamburg, an der Hochschule der Künste in Bern und an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg.

 

Die Künstlerin bedankt sich herzlich beim Weddinger Ringerverein Berlin 09 e.V. für die Unterstützung.